Medizinalweine und Sorgentröster
Dr. Thomas K. Langebner schreibt in der DAZ.online:
„Gegen Ende des 19. Jahrhunderts bestand in der westlichen Welt ein zunehmender Bedarf an leistungssteigernden „Nervennahrungsmitteln“, wofür sich auch die Coca besonders empfahl. Einerseits hatten neue pathogenetische Konzepte die Bedeutung der Nerventätigkeit für die Gesundheit in den Vordergrund gerückt, andererseits erzeugten veränderte Lebens- und Arbeitsweisen neue Problemfelder, und eine kausale Therapie im Sinne eines gesünderen Lebensstils schien illusorisch. Deshalb war die Anwendung von Stimulantien wie Wein, Tee, Kaffee, Tabak oder Coca, „which nature has placed in our hands, apparently for this very purpose“, das Gebot der Stunde. Medizinalweine erfreuten sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts steigender Beliebtheit und so war es naheliegend, auch die Coca auf diese Weise zu veredeln. Diese an sich wenig originelle Idee, zeitigte ungeahnte Folgen: Coca-Wein wurde mit einem nie zuvor dagewesenen Werbeaufwand auf den Markt gebracht, mutierte zu einem ubiquitären Konsumprodukt, das seinen „Großmeister“ berühmt und wohlhabend machte und stimulierte schließlich die Erfindung eines Getränkes, das zum erfolgreichsten Soft-Drink aller Zeiten werden sollte.“
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„Coca des Incas, Vin Tonique & Reconstituant, c. 1890s.“ by Halloween HJB is marked with CC0 1.0
„Auf der Industrieausstellung in Paris im Jahr 1867 bot ein gewisser Chevrier, „Pharmacien de Pérou“ ein „Elixir de Coca“ und einen „Vin de Coca“ als „Tonicum, Stimulans und Stomachicum“ an. Ein Jahr später veröffentlichte er ein Büchlein, das die erste reine Werbeschrift für Coca darstellt. In einem Inserat aus dem Jahr 1872 lässt Chevrier ausrichten, dass die wissenschaftliche Welt ihr „anerkennendes Urtheil über die Coca aus Peru längst und vielfach ausgesprochen“ habe. Der Coca-Wein sei das wirksamste Präparat, das man aus ihr herstellen könne. Er werde „mit beständigem Erfolge bei Dyspepsie, Erschöpfung, Chlorose und Anämie angewendet.“ Auch bei Gastralgie und schmerzhafter Verdauung sei er nützlich. Nicht nur von Chevriers Haupt-Depot in Paris konnte der Coca-Wein aus Peru bezogen werden, sondern auch von zwei Apotheken in Wien und einer in Pest. Da mochte auch Joseph Bain, „pharm. inventeur“ nicht nachstehen: Er gab 1869 gleichfalls eine Werbeschrift heraus und vermarktete Pastillen, Elixir und Vin de Coca über Inserate und ein auf Apotheken gestützes Vertriebsnetz.“
Dr. Thomas K. Langebner:
Eine kurze Karriere – Über Coca in der westlichen Medizin
DAZ. online, abgerufen am 16.12.2020.