Kokain (Novelle, 1918)

„Komm, leg dich hin und sei ruhig“, sagte Marion, „ich möchte schlafen. Mach das Licht aus.“

Tobias entkleidete sich vollständig. Marion schaute krampfhaft weg. Auch der untere Rand seines Hemdes war voller Blut von den Injektionsstichen in beiden Oberschenkeln. Es war sein einziges Hemd, das er seit drei Wochen trug; alle andere Wäsche hielt seine Zimmerwirtin in Charlottenburg zurück, als Pfand für die schuldige Miete. Er stank, sich selbst ein Abscheu, widerlich, verhasst.

Er stellte die Medizinflasche auf den Stuhl, legte die Spritze zurecht, streckte sich unbedeckt auf das Lager und löschte die Kerze.

Atemlos wartete er einige Minuten und starrte regungslos zur Decke empor, die auf dieser Zimmerseite bis zur Hälfte und halb zur Wand herab aus Glas war. Marion regte sich nicht. Durch das Zimmer schlich, träge, schleimig, die Nachtzeit. Es war, als Zöge sie Quer durch das Atelier, von einer Wand zur anderen hin und her, dunkle klebrige Fäden, die einen Duft von geronnenem Blut ausströmten, vermischt mit dem süsslichen Parfüm des Kokains und dem lebhafteren des Äthers.

Es war totenstill. Marion schien zu schlafen. Nur der Nachtwind liess manchmal die Scheiben der Fenster klirren. Tobias mahlte laut mit den Zähnen, wie er immer tat, wenn die Kokainvergiftung in ein bestimmtes Stadium getreten war. Dabei verzerrte sich sein Gesicht, und die Schläfen spielten wie Wellen. War nicht neulich, auf dem Alexanderplatz, eine alte hinkende Frau schreiend vor ihm geflüchtet, als sie dieses fratzenschneidende Gesicht sah.

Das Denken stand ihm still. Er lag regungslos und stierte zur Glasdecke hinauf. Von Zeit zu Zeit gab er sich im Dunkeln, und ohne näher hinzusehen, Kokain-Injektionen. Er fühlte an seinen misshandelten Oberschenkel, an den Ober- und Unterarmen, das Blut rinnen. Gewiss tropfte es auch in die Bettlaken, die zu schonen Marion ihn gebeten hatte. Er kümmerte sich nicht mehr darum. Jetzt war er schon in einem Gerade vergiftet, dass er, fast mechanisch, in immer kürzeren Zeitabständen Spritzen nehmen musste, wie etwas selbstverständliches, etwa wie Atmen oder essen, nur um überhaupt weiterzuexistieren.“